Albrecht Weinberg
Unsere Schule trägt seinen Namen, weil wir nicht vergessen wollen.
Im Rahmen der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus fehlt zahlreichen Menschen häufig der lokale Bezug zu den vergangenen Verbrechen der Nationalsozialisten. Dies hat dann oftmals zur Folge, dass sich nicht mit dem Thema beschäftigt wird und dieses verdrängt wird. Genau das ist es, was wir mithilfe der Umbenennung unserer Schule zum „Albrecht-Weinberg-Gymnasium Rhauderfehn“ verhindern wollen. Die Menschen hier auf dem Fehn sollen wieder stärker daran erinnert werden, was sich hier im letzten Jahrhundert zur Zeit des Nationalsozialismus ereignet hat. So ergibt sich durch die Umbenennung unserer Schule die großartige Chance, einen Beitrag zur Erinnerungskultur und Wiedergutmachung der vergangenen Taten zu leisten. Oder auch in anderen Worten gesagt: Der neue Schulname soll dafür sorgen, dass sich alle SchülerInnen mit Themen wie Antisemitismus, Holocaust, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Meinungsfreiheit, Demokratie und vielen weiteren Aspekten auseinandersetzen. Dabei fungiert die Person Albrecht Weinberg als Träger dieser Inhalte durch das, was er erleben musste und als Vorbild für Versöhnung. An erster Stelle steht für uns dabei, dass das, was sich im Zuge der grauenvollen nationalsozialistischen Vergangenheit insgesamt und auch vor Ort ereignete, nie wieder passiert. Deshalb ist es für uns essenziell, dass Schüler an dieser Schule über all diese Dinge informiert werden, um aus der Vergangenheit zu lernen.
Im Zuge der Umbenennung unserer Schule sollte ebenfalls hervorgehoben werden, dass die Schüler und Schülerinnen die treibende Kraft dahinter waren. Wenn diese sich nicht so vehement dafür eingesetzt hätten, hätte unsere Schule diesen Weg womöglich gar nicht eingeschlagen. Aus diesem Grund kann die Schülerschaft also sehr stolz auf sich sein, dass dieser Schritt nun verwirklicht wurde und der Weg der Schule damit maßgeblich geprägt wird.
In Rhauderfehn wohnten zur Zeit des Nationalsozialismus drei jüdische Familien. Diese drei Familien sollen im Folgenden vorgestellt werden, wobei die unterschiedlichen Schicksale der Familien besonders beleuchtet werden sollen. Ziel ist es, deutlich zu machen, welche Auswirkungen die Gräueltaten der Nationalsozialisten hier vor Ort auf dem Fehn hatten, denn dadurch wird verständlich, warum auch unsere Schule ein wichtiges Zeichen mit der Umbenennung zum „Albrecht-Weinberg-Gymnasium Rhauderfehn“ setzen möchte.
Die erste der drei Familien, mit der sich hier befasst werden soll, ist Familie Weinberg. Das Ehepaar Alfred und Flora Weinberg zog 1920 in ein Haus in Westrhauderfehn, das Alfred von seinem Bruder Bernhard Weinberg, der es 1910 gebaut hatte, übernahm. Alfred betrieb hier einen Vieh-, Fell- und Schrotthandel. Ihre drei Kinder wurden alle hier geboren: Dieter 1922, Friedel 1923 und Albrecht 1925. Die Familie führte ein geregeltes Leben, doch dies änderte sich im Zuge des aufflammenden Nationalsozialismus, denn ab 1933 mussten auch sie die Anfeindungen der Nationalsozialisten ertragen. Es wurde gegen sie gehetzt und zum Boykott ihres Geschäfts aufgerufen.
In den Folgejahren musste Alfred Weinberg das Haus weit unter Wert verkaufen, man vermutet, es sei nie etwas für das Haus bezahlt worden. Außerdem durften die Kinder die Schule in Rhauderfehn nicht mehr besuchen, weshalb sie zuerst allein nach Leer zogen. Anfangs fanden die Eltern keine Unterkunft in Leer, jedoch konnten sie später nachkommen. Dort befand sich nämlich die nächstgelegene jüdische Schule, die Albrecht und Friedel zunächst besuchen konnten. Der 9. November 1938 war für die Familie Weinberg und auch für andere Familien ein einschneidendes Ereignis, da die Familien in dieser Nacht auseinandergerissen wurden. Alfred Weinberg kam erst im Februar 1939 aus dem KZ Sachsenhausen nach Leer zurück, Dieter kam noch im Dezember 1938 in eine Gartenbauschule in Ahlem, Friedel und Albrecht kamen im Sommer 1939 in das Jugendlager nach Groß Breesen. Die Eltern blieben allerdings noch bis Februar 1940 in Leer, bis auch sie aus Ostfriesland vertrieben wurden und nach Berlin mussten, wo sie mit anderen Familien in Berlin-Moabit in einem sogenannten „Judenhaus“ lebten. Auch Dieter Weinberg gelangte später nach Berlin und war schließlich im Februar 1943 das erste Familienmitglied, das nach Auschwitz deportiert wurde. Es dauerte nicht lange, bis auch Friedel und Albrecht, die mittlerweile in einem Arbeitslager bei Berlin arbeiten mussten, im April 1943 ins Vernichtungslager zwangsdeportiert wurden.
Alle drei Geschwister konnten die von den Nationalsozialisten verübten Gräueltaten überleben. Doch danach trennten sich die Wege der Geschwister teilweise:
So kehrte Dieter Weinberg zurück in die Heimat nach Rhauderfehn, jedoch starb er 1946 im Breinermoorer Hammrich bei einem Unfall. Friedel und Albrecht Weinberg, die damals Anfang 20 waren, entschlossen sich dazu, nach Amerika auszuwandern und sich in New York niederzulassen.
Die Eltern Alfred und Flora Weinberg kamen im März 1943 zunächst nach Theresienstadt und wurden im Oktober 1944 schließlich nach Auschwitz deportiert. In Auschwitz wurden sie vermutlich zeitnah nach ihrer Ankunft umgebracht.
Doch nicht nur Familie Weinberg musste solch unmenschliche Taten am eigenen Leibe erfahren, sondern auch die anderen Familien waren betroffen.
Die zweite jüdische Familie, die während der Zeit des Nationalsozialismus auf dem Fehn wohnte, war Familie Cohen. Der Familienvater Mozes Cohen, der am 8.11.1875 in Oude Pekala geboren wurde, war der Besitzer eines Bauernhauses in Rhauderfehn. Dort betrieb er Viehhandel und eine Schlachterei. Mozes Cohen war verheiratet mit Klara Cohen, die am 30.12.1880 in Stralsund geboren wurde. Ihre Kinder hießen Walter und Bianka. Der Sohn Walter Nochum Cohen wurde am 13. September 1910 geboren, seine ältere Schwester am 6. November 1906.
Familie Cohen bekam schon sehr früh die Konsequenzen des nationalsozialistischen Regimes zu spüren: So wollte die Gemeinde Anfang der 1930er Jahre eine Verbreiterung der Straße durchsetzen, an der sich das Haus der Cohens befand. Dazu sollte ihr Haus gekauft werden, da sich dieses laut der Gemeinde im Weg befand. Nachdem Mozes Cohen das Haus jedoch nicht abgeben wollte, drohte man ihm mit einem Enteignungsverfahren, um einen Verkauf durchzusetzen. Schließlich gab Mozes Cohen am 3. Februar 1934 nach und verkaufte das Haus an die Gemeinde. In der Folge beging Mozes Cohen Suizid, indem er sich am gleichen Tag auf dem Dachboden des Hauses erhängte.
Sein Sohn, Walter Nochum, führte die Geschäfte unter eingeschränkten Umständen weiter. Die geplante Hochzeit mit Mimi Rull konnte unter den vorherrschenden Regeln der Nationalsozialisten nicht realisiert werden. Walter Nochum blieb vorerst in Rhauderfehn, bis er 1938 schließlich ins niederländische Emmen zog. In Folge der Kriegsgeschehnisse des Zweiten Weltkriegs fiel die Niederlande 1940. Walter Nochum Cohen wurde zunächst ins Lager Westerbork gebracht und anschließend ins Vernichtungslager Auschwitz, wo er am 30. September 1942 starb. Auch seine Schwester Bianka, die mit Beginn der nationalsozialistischen Diktatur 1933 in die Niederlande emigrierte sowie ihr Mann wurden nur einige Tage später am 12. Oktober 1942 umgebracht.
Auch wenn Walter Nochum Cohen derjenige war, der am längsten in Rhauderfehn – oder damals Rhaudermoor – lebte, so sind alle vier Familienmitglieder gleichermaßen Opfer der schrecklichen Taten des nationalsozialistischen Regimes geworden.
Die dritte jüdische Famile, die zur Zeit des Nationalsozialismus in Rhauderfehn lebte, war Familie Gumpertz. Die Eheleute Hermann und Adele Gumpertz hatten drei Kinder, die alle in Rhaudermoor geboren wurden: Helene 1920, Beate 1925 und Manfred 1931. Manfred starb jedoch schon zwei Monate nach der Geburt, wohingegen die anderen vier ermordet wurden. Der Familienvater betrieb eine Firma namens „Hermann Gumpertz & Co“, welche sich im Laufe der Zeit von einem Viehhandel zu einem Fell- und Lederwarengroßhandel entwickelte.
Die Gumpertz-Brüder engagierten sich stets vor Ort, so gründeten sie beispielsweise den FC Preußen mit. Zudem partizipierte Hermann Gumpertz politisch, indem er in der SPD mitwirkte. Es ist jedoch unklar, wann genau die Familie von Hermann Gumpertz nach Holland übersiedelte. Nach der Ankunft forderten die deutschen Behörden zwar noch eine Auslieferung, da er angeblich Schulden hinterlassen und Urkundenfälschung begangen haben soll, allerdings erfolgte die Auslieferung nicht. Stattdessen wurde ihm die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt. Somit blieb auch die Familie Gumpertz nicht lange von der judenfeindlichen Politik des nationalsozialistischen Regimes verschont. Die Töchter Helene und Beate wurden am 28. September 1942 von Westerbork nach Auschwitz deportiert und zwei Tage später umgebracht. Hermann und Adele Gumpertz wurden am 11. Mai 1943 nach Sobibor gebracht. Die Mutter der Kinder, Adele, wurde am 14. Mai 1943 unverzüglich nach der Ankunft umgebracht, während man Hermann den Arbeitshäftlingen zuteilte. Dabei musste den Arbeitshäftlingen eines bewusst gewesen sein, nämlich, dass sie kaum eine Chance hatten, das Lager lebend zu verlassen.
Lediglich erfolgreiche Aufstände gegen die nationalsozialistischen Aufseher hätten verhindern können, dass sie umgebracht werden. Aus diesem Grund kam es am 14. Oktober 1943 zu einem solchen Aufstand, an dem auch Hermann Gumpertz beteiligt war. Dabei wurden nacheinander zehn SS-Männer in die Schneiderei und die Schusterwerkstatt gelockt und getötet. Hermann Gumpertz, der zu diesem Zeitpunkt 51 Jahre alt war, gehörte zu den circa 300 Häftlingen, die fliehen konnten. Jedoch schafften es von diesen 300 Häftlingen lediglich 53 zu überleben, da viele im Minengürtel rund um das Lager zu Tode kamen. Hermann Gumpertz gehörte nicht zu den Überlebenden, denn er wurde sechs Wochen nach dem Aufstand, also am 30. November 1943, gefasst und getötet. Der Todesort Dorochuk am Bug befindet sich etwa 47 Kilometer von Sobibor entfernt.
Die Schicksale der drei Familien verdeutlichen uns, dass nationalsozialistisches Unrecht nichts ist, was realitätsfern ist bzw. war, denn so unvorstellbar diese Gräueltaten für uns aus heutiger Sicht auch sein mögen, so ist es umso trauriger, wenn man sich darüber bewusst ist, dass diese Verbrechen im letzten Jahrhundert hier vor Ort in Rhauderfehn begangen worden sind.
Abschließend wollen wir insbesondere Albrecht Weinberg danken, der nun bereits seit mehreren Jahren unsere Schule besucht, Schülern Vorträge hält und dabei vor allem auch mit den älteren Schülern kooperiert. Es ist also unbedingt zu betonen, dass die Umbenennung unserer Schule und damit auch unser Beitrag zur Erinnerungskultur nur aufgrund Albrechts herausragenden Engagements möglich ist.
Sönke Schulz, Jonas Hülper, Lukas Stamm