Seminarfach interviewt Richard Gutjahr

Obwohl der Präsenzunterricht wieder im vollen Gange ist, fand das Seminarfach „Verschwörungstheorien“ am 14.06.2021 wieder in Form einer Videokonferenz statt. Grund dafür war die Teilnahme eines besonderes Gastes am Seminarfach. Richard Gutjahr ist der Einladung gefolgt und hat den interessierten Schüler*innen Rede und Antwort gestanden. Gutjahr, der als Journalist u.a. für die ARD arbeitet und der freier Mitarbeiter für die Süddeutsche Zeitungund die Frankfurter Allgemeine Zeitung war, filmte im Juli 2016 den Anschlag in Nizza und den Amoklauf in München und berichtete für den Bayerischen Rundfunk und die ARD, da er zufällig vor Ort war. Kurz darauf wurde Gutjahr zum Opfer von Verschwörungstheorien. Insbesondere auf den Plattformen Facebook und Youtube verbreitete sich der von Verschwörungstheoretikern entwickelte Gedanke, dass es kein Zufall sein könne, dass Gutjahr bei beiden Anschlägen vor Ort gewesen sei. Bald darauf wurde konstruiert, dass Gutjahr, der mit einer Israelin verheiratet ist, für den Geheimdienst Mossad arbeite. Darüber hinaus wurde er von Verschwörungstheoretikern (Gutjahr betonte im Interview, es habe sich dabei um „alte, graue Männer“ gehandelt) in Youtubevideos und Büchern als Drahtzieher der Anschläge oder auch als Botschafter einer Elite bezeichnet, die diese Angriffe geplant habe.  Eine gewaltige Welle an Hass kam auf. Richard Gutjahr wehrte sich jedoch gegen die Verschwörungstheorien und lieferte sich einen langwierigen Rechtsstreit mit Google, Youtube, Facebook und denjenigen, die Unwahrheiten über ihn und seine Familie verbreitet haben. Weitere Informationen zu seiner Geschichte gab Richard Gutjahr beispielsweise bei einem Talk auf der re:publica 2018 preis, der hier angesehen werden kann.

Im Vorfeld hat sich das Seminarfach intensiv mit der Geschichte von Herrn Gutjahr auseinandergesetzt und gemeinsam Interviewfragen entwickelt. Bereuen Sie es, dass sie die Videos der Anschläge aufgenommen und veröffentlicht haben? Inwiefern haben die Verschwörungstheorien Freundschaften beeinflusst? Hat sich Ihr Verhältnis zu Sozialen Medien verändert? Und wären Sie rückblickend anders mit der Situation umgegangen? Viele Fragen stellten sich dem Kurs. Rena Sagemann und Hilco Groen moderierten das digitale Treffen souverän und konnten Herrn Gutjahr viele interessante, aber zugleich auch schockierende Antworten entlocken. So berichtete er offen von den traumatischen Erlebnissen in Nizza und München, von dem fehlenden Rückhalt seines damaligen Arbeitgebers und von der Verzweiflung, als Google seinen Feinden seine Privatadresse mitgeteilt hat.

Gutjahr sieht mittlerweile davon ab, seine Geschichte in öffentlichen Formaten wie Talkshows darzulegen. Auch in unserem Interview führt er an, dass Wunden geblieben seien, wenngleich er sich „mittlerweile berappelt“ habe. Die Emotionalität des Themas war für alle im Gespräch dennoch deutlich spürbar. Für das Seminarfach habe er jedoch gern eine Ausnahme gemacht und er würdigte mehrfach das Engagement, mit dem sich der Kurs dem Thema angenommen habe.

Wir bedanken uns bei Herrn Gutjahr für seine Bereitschaft, mit uns über dieses belastende Thema zu sprechen und wir wünschen ihm und seiner Familie alles Gute.