Schüleraustausch aus Sicht der Eltern

Wir hatten jetzt innerhalb eines Jahres dreimal das Glück Gasteltern zu sein.

Jeweils für eine Woche Beata aus Schweden und Viorel aus Rumänien und für ganze sechs Wochen Daniela aus Ecuador.

Los ging es vor einem Jahr mit dem Besuch aus Schweden. Jedes Jahr kommt eine Gruppe Deutschschüler von einer schwedischen Privatschule, die am Austauschprogramm mit dem Gymnasium Rhauderfehn teilnimmt. Wir wurden vorab von vom Gymnasium über Ankunft, geplanten Programm und Abfahrt, sowie Namen des Gastkindes informiert. Und da stand schließlich eine Gruppe von Gasteltern und Geschwistern bei sehr bescheidenem Wetter im Spätherbst am Parkplatz und erwartete den Bus mit den müden Schweden. Alle standen doch noch etwas verunsichert herum, als die ersten ausstiegen und man dachte, wer ist wohl unser Kind auf Zeit?

Nach der Gepäckausgabe ging es dann plötzlich sehr schnell, die Kinder wurden verteilt und schon saßen alle im Auto, um nach Hause zu fahren. Da unser Haushalt aus vier Kindern besteht, war das Gewusel für die guterzogene, nordisch zurückhaltende Beata zuerst wohl etwas verunsichernd. Auch wollte sie kein Deutsch sprechen, sondern bevorzugte zwecks Verständigung die englische Sprache. Erst im Nachhinein erfuhren wir am letzten Tag von ihrem Lehrer, dass sie in der Klasse die Beste im Deutschunterricht wäre. Hätten wir das gewusst,… . Aber für unsere eigenen Kinder war die deutsche Sprachunwilligkeit ein großer Vorteil. Sie wurden gezwungen, Englisch zu sprechen und lernten, dass Kommunikation teilweise auch ganz ohne Worte geht. Wir bemühten uns, trotz schlechten Wetters, ein wenig von unserer Heimat zu zeigen und Beata erzählte uns viel von ihrem Zuhause. Da Fernsehschauen als Abendunterhaltung ausfiel, wurde viel gespielt, wodurch man sich deutlich näher kam und unsere reservierte Nordfrau auftaute. Wir lernten auch einige Besonderheiten der schwedischen Kultur. So ist es z.B. in Schweden absolut unhöflich, sich bei im Raum anwesenden Personen die Nase zu putzen. Die Woche ging jedoch sehr schnell rum und wir mussten schon wieder Abschied nehmen.

Dann kam Daniela. Ein Schüleraustausch über das Humbolteum, einer Austauschorganisation. Da das Infoblatt über die Schule kam, waren wir irrtümlicherweise davon ausgegangen, dass das Gymnasium den Austausch organisierte. Dies führte im Folgenden zu manchen Verwirrungen. Die Infos vom Humbolteum kamen meist sehr kurzfristig. Wir erfuhren erst einen Monat vorher von Danielas Kommen und über welchen Zeitraum es geht. Dank Whats up kommunizierten die Mädchen jedoch sofort miteinander. Und wir merkten schnell, dass sich die Mentalität dieser Südamerikanerin sehr von uns zurückhaltenden Nordlichtern unterscheidete. Kommentar eines Mitarbeiters beim kurzfristig festgesetzten Infotag vom Humbolteum: „Es gibt aufgrund der doch sehr anderen Kommunikation untereinander oft die Meinung, der Ecuadorianer lüge und die Deutschen seien aggressiv.

Ein Ecuadorianer sagt nie direkt, was er meint. Nein zu sagen ist unhöflich. Also wird alles durch die Blume oder hinten rum gesagt. Falsche Wegbeschreibungen aus Unkenntnis sind besser als keine. Folglich denkt der Deutsche, die lügen das Blaue vom Himmel. Warum sagt der Ecuadorianer, dass Essen möge er und wenn man es extra kocht, rührt er keinen Bissen an? Versteht man aber die Feinheit der Konversation dort, hätte man heraus gehört, dass diese Mahlzeit absolut verabscheut wird.

Und der Deutsche, der knallt alles direkt geradlinig heraus, was er meint. Er hat gelernt konstruktiv zu diskutieren, ohne dies als Streit zu sehen. Eine Beleidigung und halber Weltuntergang für einen Ecuadorianer, vor allem, wenn die Hierarchie, wer wem was zu sagen hat, nicht eingehalten wurde.

Zudem wird die Familie und die Gruppe in Ecuador sehr hoch geschrieben. Gemeinschaft statt Individualismus ist gefragt, Zusammenhalt statt Selbstverwirklichung.

Und somit holten wir ein Kind am Bahnhof ab, dass einen sofort mit Mama und Papa anredete, uns südamerikanisch herzlich in die Arme nahm und froh war, mit uns nach Hause zu fahren, als ob wir schon immer ihre Familie wären. Vielleicht auch ein Vorteil des Handyzeitalters, da der Kontakt und damit eine gewisse Vertrautheit schon vorab entstanden war.

Das Gymnasium wurde dann ein wenig von den insgesamt drei Austauschschülern aufgrund der Nicht-Ankündigung des Humbolteums etwas überrumpelt und war dementsprechend auch nicht vorbereitet. Und wir als Gasteltern waren anfangs ein wenig enttäuscht, dass unsere Gastkinder mehr in der Mensa gesessen haben als im Unterricht, an dem sie eigentlich teilnehmen sollten. Wir gingen ja davon aus, dass dieses Austauschprogramm von der Schule käme. Letztendlich konnte aber glücklicherweise alles geklärt werden und wird in den folgenden Jahren wohl besser geregelt.

Die Zeit mit Daniela ging denn auch viel zu schnell zu Ende. Sie wurde nicht nur ein Kind auf Zeit, sondern wir sind immer noch in regen Kontakt mit ihr, kennen mittlerweile die ganze Familie. Es ist schon zu Gegenbesuchen gekommen und auch im nächsten Jahr werden wir unsere ecuadorianische Tochter wiedersehen.

Wenn man sich auf die unterschiedliche Kommunikationsart und Mentalität ein wenig einlässt und beachtet, bleiben innige Kontakte fürs Leben, für die man unglaublich dankbar ist.

Letztlich kamen wir sehr kurzfristig im November 2015 noch zu einen Austauschschüler, was eigentlich nicht geplant war. Es wurden noch Gastfamilien gesucht, da für die kommenden jungen Leute aus Dänemark, Österreich, Zwickau und Rumänien sich nicht genug Freiwillige gemeldet hatten und uns unsere Jüngste vom Gymnasium dazu überredete. Viorel aus Rumänien sollte er heißen und 14 Jahre alt sein. Nach 40 Stunden Fahrt am Sonntagabend war Ankunft. Aufgrund des kalten nassen Wetters und der späten Zeit wurden die noch sehr zurückhaltenden und unsicheren Gastkinder direkt in die Autos der Gasteltern verfrachtet und mitgenommen. Das Interessante war, dass Viorel und unsere Kinder, obwohl sie sich noch gar nicht kannten, sofort gemeinsam ohne Hemmungen auf Englisch unterhielten. Das erste Abendbrot verlief dann auch noch mit dem üblichen Fragen, wo er genau herkäme, was er so möge usw.. Von Tag zu Tag wurden wir auch mit Viorel und er mit uns vertrauter. Wir erfuhren, dass die rumänischen Jungs noch lieber shoppen gingen als die Mädels und ihr Haarstyling ihnen sehr wichtig war. Dies hielt die Jungs aber nicht davon ab, sich spaßeshalber durch die Haare zu wuscheln. Wir merkten schnell, dass Viorel sehr gut über sich selber lachen konnte und einen sehr feinen Sinn für Humor hatte. So war auch diese Woche mit ihm sehr schnell vorbei und wir waren froh, dass unsere Tochter uns überredet hatte, wieder einen Austauschschüler aufzunehmen.

Wenn wir etwas durch diese Schüleraustausche lernen durften, dann dass man auch in einem Urlaub nie so tief in die Mentalität und Kultur eines anderen Landes offen eintaucht, als wenn man kurzzeitig mit jemanden zusammenlebt. Kontakte werden geschaffen, die lebenslang halten können. Die eigenen Kinder dürfen ihren Horizont erweitern. Und vor allem gibt es kaum ein besseres Sprachtraining als einfach eine andere Sprache zu sprechen. Die Hemmungen beim Sprechen fallen im direkten Kontakt zwangsweise sehr schnell. Man will sich ja verständigen.

Und die Gegenbesuche schaffen Erfahrungen, die man gar nicht in Worte fassen kann. Hier leben die Kinder die fremde Kultur. Sie besuchen das Land nicht nur, sondern werden ein Teil dessen.

Sie gewinnen an Selbstständigkeit, die man Zuhause auf diese Art nie geben könnte.

Der Horizont wird wahrlich bereichert durch das Schauen über den Tellerrand.

Familie Seiwald